Die Suchmaschinen laufen heute heiß: Triage ist das Wort der Stunde, das Deutschland bewegt. Über 5000 Suchanfragen in nur vier Stunden sprechen eine deutliche Sprache – das Bundesverfassungsgericht hat soeben ein wegweisendes Urteil zur Triage-Regel gefällt, das die medizinische Landschaft des Landes nachhaltig erschüttern wird. Diese Entscheidung aus Karlsruhe beendet einen jahrelangen Rechtstreit um die Verteilung knapper medizinischer Ressourcen in Krisenzeiten.
Das französische Wort „trier“ – sortieren oder aussuchen – beschreibt treffend, worum es bei der Triage geht: Ärzte müssen unter extremem Zeitdruck und mit begrenzten Ressourcen entscheiden, welcher Patient zuerst behandelt wird. Es ist eine der schwersten Entscheidungen, die ein Mediziner treffen kann – über Leben und Tod zu urteilen, wenn nicht alle gerettet werden können.
Bundesverfassungsgericht kippt Triage-Gesetz komplett
Am heutigen 4. November 2025 verkündete das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sein historisches Urteil: Die gesetzlichen Vorschriften zur Triage, wie sie im Infektionsschutzgesetz verankert waren, sind verfassungswidrig und damit nichtig. Diese Entscheidung markiert das Ende eines erbitterten Rechtstreits, der seinen Ursprung in den dunkelsten Stunden der Corona-Pandemie hatte.
Corona-Krise als Auslöser der deutschen Triage-Debatte
Die Geschichte der deutschen Triage-Regel ist untrennbar mit der Corona-Krise verbunden. Als die Intensivstationen 2020 und 2021 an ihre Belastungsgrenze stießen, wurde schmerzhaft deutlich: Deutschland brauchte klare Regeln für die Verteilung knapper medizinischer Ressourcen. Beatmungsgeräte, Intensivbetten und qualifiziertes Personal waren Mangelware, während schwerkranke Patienten verzweifelt um ihr Leben kämpften.
Das Bundesverfassungsgericht griff bereits 2021 ein und erteilte dem Bundestag den Auftrag, entsprechende Gesetze zu schaffen. Die Karlsruher Richter wollten sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen nicht benachteiligt würden – eine berechtigte Sorge angesichts der ethischen Komplexität von Triage-Entscheidungen.
Bundestag scheitert mit starren Triage-Vorgaben
Der Bundestag reagierte 2022 mit einer neuen gesetzlichen Regelung: Die Behandlung sollte ausschließlich nach der kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit erfolgen. Kriterien wie Lebenserwartung, Gebrechlichkeit oder Behinderung waren explizit verboten. Auf dem Papier klang das gerecht und human, doch die medizinische Realität sah anders aus.
Die medizinische Zunft rebellierte heftig gegen diese Bevormundung. Intensiv- und Notfallmediziner kritisierten die starren Vorgaben scharf. Besonders umstritten war das Verbot der sogenannten „ex post“-Triage – also die nachträgliche Umprioritierung von Patienten, wenn sich deren Prognose verschlechterte. In der Praxis bedeutete das: Einmal angeschlossen an ein Beatmungsgerät, durfte die Behandlung nicht mehr zugunsten eines anderen Patienten mit besseren Überlebenschancen abgebrochen werden.
Ärzte erkämpfen sich Behandlungsfreiheit zurück
Diese Regelung empfanden viele Ärzte als praxisfern und ethisch problematisch. Der Marburger Bund und andere Medizinerverbände unterstützten energisch die Klagen gegen die gesetzlichen Vorgaben. Ihre Kernbotschaft war eindeutig:
- Politik darf nicht in die ärztliche Kunstfertigkeit eingreifen
- Behandlungsentscheidungen erfordern jahrelange Erfahrung und medizinische Expertise
- Starre Gesetze können der komplexen Realität auf Intensivstationen nicht gerecht werden
- Ärztliche Autonomie muss auch in Krisenzeiten gewahrt bleiben
Karlsruher Richter stärken ärztliche Berufsfreiheit
Heute gaben die Karlsruher Richter den klagenden Ärzten auf ganzer Linie recht. Das Gericht erklärte unmissverständlich, dass die Triage-Regelungen die Berufsfreiheit der Mediziner zu stark einschränken. Noch schwerer wiegt der zweite vernichtende Kritikpunkt: Der Bund besitzt für solche detaillierten Vorschriften schlicht keine Gesetzgebungskompetenz.
Diese Entscheidung wirft fundamentale Fragen über das Verhältnis zwischen staatlicher Regulierung und ärztlicher Autonomie auf. Sollen Politiker in Berlin bestimmen, wie Ärzte in Extremsituationen zu handeln haben? Oder liegt diese schwere Verantwortung bei den Medizinern selbst, die täglich mit Leben und Tod konfrontiert sind?
Neue Ära für medizinische Notfallentscheidungen beginnt
Mit dem heutigen Urteil kehrt Deutschland faktisch zum ursprünglichen Zustand zurück. Ärzte können wieder nach ihrer fachlichen Einschätzung und ihrem Gewissen Triage-Entscheidungen treffen, ohne gesetzliche Fesseln. Das bedeutet mehr Flexibilität im medizinischen Alltag, aber auch mehr persönliche Verantwortung für die behandelnden Ärzte.
Die Tragweite dieser wegweisenden Entscheidung geht weit über die Triage hinaus. Sie sendet ein klares Signal an die Politik: Die Grenzen staatlicher Eingriffe in die Medizin sind enger gezogen, als mancher Gesundheitsminister glauben mochte. Das Vertrauen in die ärztliche Profession steht über politische Regelungswut. Für Patienten bedeutet das Urteil eine Rückkehr zu einem System, das auf medizinischer Expertise basiert. Die Debatte über Triage und die Verteilung medizinischer Ressourcen ist jedoch längst nicht beendet – sie wird uns spätestens in der nächsten Pandemie wieder einholen.
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