Kräutertees gelten als natürliche Alternative zu schwarzem Tee und Kaffee – doch die Realität in den Supermarktregalen ist komplexer als viele Verbraucher vermuten. Während die Leitsätze für Tee besagen, dass die Verwendung von Lebensmittelzusatzstoffen bei Kräuter- und Früchtetees nicht üblich ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass sie völlig ausgeschlossen sind. Die EU-Verordnung über Lebensmittelzusatzstoffe regelt klar, welche Stoffe in welchen Lebensmittelkategorien verwendet werden dürfen.
Aromazusätze: Erlaubt, aber mit Einschränkungen
Bei der Aromaverstärkung von Kräutertees gibt es tatsächlich eine wichtige Unterscheidung. Während natürliche und naturidentische Aromen grundsätzlich verwendet werden dürfen, gelten besondere Regeln: Sie dürfen nicht dazu verwendet werden, den Geschmack eines einzelnen Kräuter- und Früchtetees aus nur einer Zutat nachzumachen oder zu verstärken. Ein reiner Pfefferminztee darf also nicht zusätzlich mit Pfefferminz-Aroma verstärkt werden.
Die Bezeichnung „natürliches Aroma“ ist tatsächlich irreführend: Sie bedeutet lediglich, dass der Ausgangsstoff natürlichen Ursprungs ist. Ein Kamillen-Aroma kann durchaus aus Zitrusschalen oder anderen natürlichen Quellen gewonnen werden. Bei Teemischungen mit mehreren Zutaten sind Aromen jedoch zulässig, solange sie ordnungsgemäß deklariert werden.
Besondere Schutzbestimmungen für Säuglinge und Kleinkinder
Die Behauptung, dass versteckte Süßungsmittel in Kräutertees vorkommen, ist besonders bei Produkten für die Jüngsten klar widerlegt. Die deutsche Kräuter- und Früchtetee-Verordnung verbietet ausdrücklich die Verwendung von Zucker, Honig, Malzextrakt oder anderen süßenden Zutaten bei Tees für Säuglinge und Kleinkinder. Diese Produkte dürfen nur als vorverpackte Lebensmittel verkauft werden und müssen deutlich kennzeichnen, dass bei der Zubereitung auf süßende Zusätze verzichtet werden soll.
Die echten Probleme liegen woanders
Wesentlich relevanter als zugesetzte Zusatzstoffe sind Kontaminanten und Rückstände. Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Bayern untersuchte 2024 systematisch Kräutertees auf Pyrrolizidinalkaloide und Tropanalkaloide – natürliche Pflanzengifte, die durch Unkräuter in die Ernte gelangen können. Kontaminanten als reales Problem sind längst nicht mehr von der Hand zu weisen. Die EU-Verordnung 2023/915 legt strenge Höchstgehalte fest: Für Tee für Säuglinge und Kleinkinder liegt der Grenzwert bei nur 75 Mikrogramm pro Kilogramm.
Verarbeitungshilfsstoffe und ihre Tücken
Bei der industriellen Verarbeitung kommen tatsächlich Hilfsstoffe zum Einsatz. Die Leitsätze erwähnen beispielsweise Maltodextrin zur Vermeidung von Verklebungen bei Tee-Extrakten. Solche Verarbeitungshilfsstoffe müssen deklariert werden, wenn sie im Endprodukt verbleiben. Die rechtlichen Regelungen schaffen hier weitgehende Transparenz, auch wenn Deklarationsschwellenwerte existieren.

Problematischer sind Rückstände aus Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen während Lagerung und Transport. Hier greifen die europäischen Rückstandshöchstmengenverordnungen, die regelmäßig aktualisiert und verschärft werden. Deutsche Untersuchungsämter kontrollieren systematisch die Einhaltung dieser Grenzwerte.
Bio-Qualität: Mehr Sicherheit, aber kein Allheilmittel
Bio-zertifizierte Kräutertees unterliegen strengeren Produktionsvorschriften und bieten tendenziell mehr Sicherheit vor synthetischen Rückständen. Dennoch sind auch sie nicht automatisch frei von natürlichen Kontaminanten. Selbst bei Einhaltung aller bio-spezifischen Vorgaben können beispielsweise Pyrrolizidinalkaloide aus Beikräutern in die Ernte gelangen. Die Untersuchungen bayerischer Behörden zeigen, dass auch Bio-Produkte gelegentlich quantifizierbare, aber unterhalb der Höchstgehalte liegende Mengen solcher natürlichen Schadstoffe enthalten können.
Praktische Orientierung beim Einkauf
Die Zutatenliste gibt tatsächlich wichtige Hinweise auf die Produktqualität und sollte bei jeder Kaufentscheidung berücksichtigt werden. Je kürzer und verständlicher die Liste, desto ursprünglicher das Produkt. Die EU-Lebensmittelinformationsverordnung verpflichtet zur vollständigen Deklaration aller Zutaten in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils. Steht „Aroma“ weit vorne, während die namensgebende Zutat erst später erscheint, deutet dies auf ein stark verarbeitetes Produkt hin.
Verbraucher sollten kritisch hinterfragen, wenn Werbeversprechen zu naturnah klingen. Moderne Lebensmittelgesetze schaffen bereits eine solide Basis für Transparenz – die Kunst liegt darin, die verfügbaren Informationen richtig zu interpretieren. Lose Tees bieten oft bessere Nachvollziehbarkeit der Qualität, da die Beschaffenheit der Zutaten direkt sichtbar ist.
Realistische Einschätzung der Risiken
Die meisten handelsüblichen Kräutertees entsprechen den gesetzlichen Anforderungen und sind für den normalen Verzehr unbedenklich. Problematisch wird es hauptsächlich bei extremen Verzehrmengen oder besonderen Empfindlichkeiten. Die deutschen und europäischen Kontrollsysteme funktionieren weitgehend zuverlässig, wie die regelmäßigen Untersuchungsberichte der Landesämter belegen.
Wer auf Nummer sicher gehen möchte, achtet auf kurze Zutatenlisten, bevorzugt Bio-Qualität von vertrauenswürdigen Anbietern und variiert zwischen verschiedenen Kräutern statt täglich große Mengen derselben Mischung zu trinken. Die oft beschworenen „versteckten“ Zusatzstoffe sind in der Realität meist weniger versteckt als vielmehr in ihrer Bedeutung überschätzt – die wirklichen Herausforderungen liegen bei natürlichen Kontaminanten und Rückständen, gegen die es bereits wirksame gesetzliche Schutzmaßnahmen gibt.
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